Zappen / Fernsehen auf der Couch mit Fernbedienung in der Hand
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Fernsehen der Gegenwart: Leitmedium oder Relikt?

Das Fernsehen prägte mehrere Jahrzehnte die gemeinsame Erinnerung vieler Menschen und formte auch das Erleben der Gegenwart und den Blick in die Zukunft. Die Vorstellungen von Politik, Wirtschaft und zahlreichen anderen Lebenswirklichkeiten und -welten waren maßgeblich vom Fernsehen mitbestimmt. Mit dem Aufkommen der neuen Medien und vor allem dem Internet scheint das Fernsehen als wichtigstes Leitmedium bedroht. Aber was heißt eigentlich Leitmedium, warum war das Fernsehen ein solches und ist es das vielleicht noch immer?

Das Fernsehen und das kollektive Gedächtnis

Das kollektive Gedächtnis einer oder mehrerer Generationen ist von Ereignissen geprägt, über die alle in ähnlicher oder gleicher Weise Bescheid wissen oder zumindest Bescheid zu wissen glauben. Wie genau das kollektive Gedächtnis dabei funktioniert, ist noch nicht ausreichend erforscht.

Fest steht aber, dass viele Menschen weltweit beispielsweise ähnliche Bilder im Kopf haben, wenn sie an einschneidende historische Ereignisse, wie etwa die Mondlandung 1969 oder die Anschläge auf das World Trade Center im Jahr 2001 denken. Diese Bilder wurden über die Medien geprägt, allen voran durch das Fernsehen.

Multimedialer Eindruck

Nicht nur Standbilder, sondern vor allem auch Bewegtbilder, die Bildsequenzen, sorgen für Momente, die sich filmhaft ins Gedächtnis brennen und sich vor dem inneren Auge immer wieder abspielen. Sie werden ein Stück weit zu einer historischen Wahrheit im Inneren.

Diese Wahrheit, die sich durch die Vorstellungen des Großteils der Bevölkerung zieht, war einst einmal vom Hörfunk bestimmt, noch früher von der Presse und in den letzten Jahrzehnten eben vom Fernsehen.

Was bedeutet „Leitmedium“ eigentlich?

Ein Leitmedium ist nie Leitmedium aus sich selbst heraus, etwa weil es das bekannteste Medium von allen ist. Vielmehr ist der Begriff eine soziale Konstruktion: Wenn ein Großteil der Bevölkerung das Fernsehen als wichtigstes Medium einstuft, kann es als Leitmedium bezeichnet werden. Diese Übereinstimmung wiederum ist erstens nicht einfach zu messen oder überprüfen, zweitens variiert sie in der Zeit recht häufig und sie speist sich drittens aus unterschiedlichen Aspekten:

  • Es ist von Belang, ob ein Medium die öffentliche Meinung im Hinblick etwa imstande ist, die Politik zu prägen und dies auch tut.
  • Kann das Medium aus kultureller Sicht ganze Weltbilder verändern und prägen?
  • Nur ein Medium, das sich nachhaltig auf den Alltag der Menschen auswirkt, wird in der Regel auch als Leitmedium klassifiziert und von den Menschen als solches betrachtet und anerkannt.
  • Einem Medium kann seine Leitfunktion auch einfach aus dem Grund zugeschrieben werden, weil es die größte Reichweite
  • Beeinflusst ein Medium auch andere Formate, werden von ihm Konzepte und Methoden übernommen dient es sozusagen als Vorbild und hält auch deshalb eine Leitfunktion inne.
  • Verstehen Teile der Elite, wie beispielsweise wichtige Politiker oder renommierte Wissenschaftler ein Medium als bedeutungsvoll und Sprachrohr öffentlicher Meinung, kann es ebenfalls eine Leitfunktion bekommen.
  • Ein bestimmtes Medium wird nicht selten auch begrenzt auf einen engeren Raum als lokales Leitmedium Eine örtliche Zeitung mit hohem Ansehen beispielsweise kann als Leitmedium angesehen werden, währenddessen das Fernsehen bei den Leuten weniger wichtig ist. Im Nachbarort kann es schon wieder anders aussehen.

In der Regel gibt es nicht das eine Leitmedium, sondern immer mehrere Medien mit Leitfunktion, die sich in ihrer Bedeutung und Relevanz changieren. 

Wie das Fernsehen die öffentliche Kommunikation prägt

Das Fernsehen stellte zu seiner Entstehung das erste richtige Hybridmedium dar – es vereinte verschiedene Punkte in sich:

  • die Aktualität des Hörfunks
  • die journalistische Professionalität der Presse
  • die Multimedialität des Films

Zum Leitmedium konnte es sich in Deutschland ab etwa Mitte der 1960er Jahre entwickeln, da es ab diesem Zeitpunkt von fast der Hälfte der deutschen Haushalte empfangen wurde. 1975 waren es dann sogar ganze 93 Prozent aller deutschen Haushalte, die einen Fernseher besaßen. Nur so konnte das Fernsehen die öffentliche Kommunikation nachhaltig prägen.

Einfluss auf die Nutzung anderer Medien

Filmkamera filmt Sendung

Foto ©: Formate wie die Tagesschau oder ähnliche Nachrichtensendungen waren jahrelang prägend für die öffentliche Kommunikation. fotolia.de © batuhan (#184089549)

Mit wachsender Verbreitung des Fernsehens ging die Popularität des Kinos zurück und zahlreiche Publikumszeitschriften wurden eingestellt. Andere Medien mussten sich umorientieren und ergänzten von nun an das Fernsehen.

Dieses konnte sich so schnell zu einem Leitmedium entwickeln, weil es die öffentliche Kommunikation und andere Lebensbereiche auf unterschiedlichste Weise beeinflusste.

Nutzung als Marketinginstrument

Mit Aufstieg des Fernsehens zum Leitmedium wurde auch der Werbeindustrie klar, welche ökonomische Bedeutung das Fernsehen und sein Potenzial, die öffentliche Kommunikation zu prägen, hat. Beispiele, wie etwa die drastische Veränderung der Sportwelt, die nur deshalb stattfand, weil die Bundesliga-Rechte Ende der 1980er Jahre von einem Privatsender aufgekauft wurden, untermauern dieses Potenzial.

Mit der Ankunft der Sportberichterstattung im Privatfernsehen wurde reine Sportübertragung zu echter Unterhaltung. In den Sendepausen konnte mehr Werbung ausgestrahlt werden – die Leute schalteten trotzdem nicht ab.

Entwicklungen wie diese zeigen, dass selbst für Zuschauer vermeintlich ungünstige Tendenzen eines Mediums, sofern es als Leitmedium akzeptiert und beliebt ist, mitunter einfach hingenommen werden. Auch heute erfreuen sich viele Privatsender nach wie vor großer Beliebtheit, obwohl die als störend empfundenen Werbeblöcke noch umfangreicher geworden sind.

Relevanz im Alltag

Das Fernsehen ist weiterhin in der Lage, den Alltag in verschiedener Hinsicht zu Prägen.

  • Zeitlich strukturiert es den Tagesablauf vieler Menschen. Die Tagesschau etwa kommt immer um die gleiche Uhrzeit und dient einigen als Fixpunkt am Tag, an dem sie sich orientieren.
  • Inhaltlich strukturiert es die Alltagskommunikation, indem es für eine leichte Anschlusskommunikation sorgt: Über gemeinsame Medienerlebnisse in der Tagesschau lässt sich gut reden.
  • Sozial strukturiert das Fernsehen die öffentliche Kommunikation, indem es durch Formate wie die genannte Tagesschau einerseits zur Homogenisierung, andererseits aber auch zur Differenzierung bestimmter Gruppen durch die Vielfalt von Sendern und Formaten führt.

Das Fernsehen gegen das Internet

Gemessen an der Prägung der öffentlichen Kommunikation hat das Fernsehen nach wie vor einen großen Stellenwert für viele Deutsche. Seine Vormachtstellung als das eine große Leitmedium der Nation gerät aber seit der Popularität des Internets deutlich ins Wanken. Vor allem die jüngeren Generationen wenden sich vom klassischen Fernsehen immer mehr ab und verlagern ihre Medienzeit auf das Internet.

Bereits im Jahr 2007 verbrachten nach einer Umfrage der European Interactive Advertising Association (EIAA) die jungen Menschen zwischen 16 und 24 Jahren in zahlreichen europäischen Ländern mit knapp 15 Wochenstunden im Durchschnitt bereits 10 Prozent mehr Zeit online als vor dem Fernseher.

Allgemeine Zunahme der Mediennutzung

Da allerdings die Medienzeit generell deutlich zunimmt, nimmt auch die Fernsehnutzung bei jüngeren Leuten nicht so sehr ab, wie vielerorts behauptet wird. Nach dem Internet steht das Fernsehen auch bei den unter 30-Jährigen noch immer auf Platz zwei aller Medien.

Allerdings wenden sich die Menschen im Allgemeinen immer mehr dem Internet zu. Wer heute als „digital Native“ aufwächst, wird vermutlich auch dort sein Leitmedium sehen und das Fernsehen nur als Nebenmedium betrachten – nachrückende Generationen bedeuten also einen fortschreitenden Rückgang des klassischen Fernsehens.

Internet als multimediale Alternative mit vielen Möglichkeiten

Erklären lässt sich diese Entwicklung dadurch, dass das Internet durch seine Struktur verschiedene neue Möglichkeiten bietet:

  • Aktualität und Omnipräsenz: Jegliche Informationen sehen sofort zur Verfügung. Auf die Tagesschau um 20 Uhr muss nicht mehr gewartet werden, aktuelle Nachrichten können stattdessen jederzeit und von überall aus abgerufen werden.
  • Multimedialität: Das Internet bietet noch mehr unterschiedliche Medienformate, die gemeinsam auf einer zentralen Plattform genutzt werden können.
  • Interaktivität: Anders als beim passiven Fernsehkonsum kann der Nutzer aktiv auf die unterschiedlichste Weise am Mediengeschehen teilhaben.

Die Zukunft des Fernsehens

Man schaut Fernsehen auf Laptop

Foto ©: Das Streaming von Sendungen oder Konzepte wie Web-TV stellen die Zukunft des Fernsehens dar. fotolia.de © daviles (#114674306)

Nach wie vor hat das Fernsehen einen großen Einfluss auf die öffentliche Kommunikation und das politische und soziale Miteinander, wenn es auch nicht mehr die unangefochtene Krone der Medienwelt trägt. Die Online-Medien sind eine zu große und starke Konkurrenz.

Dennoch wird das Fernsehen mit großer Sicherheit nicht vollkommen verschwinden – genauso wenig wie Presse und Hörfunk in den letzten Jahrzehnten verschwunden sind. Allerdings muss auch das Fernsehen sich den veränderten Bedingungen anpassen – in Form und Funktion.

Fernsehen im Wandel

Diese Änderungen sollten und werden vermutlich der veränderten Medienlogik folgen: So könnte eine Mischform mit Online-Medien entstehen, wie Web-TV als Konkurrenz zum kostenpflichtigen IPTV, Internet-TV und Ähnlichem. Das Fernsehen kann nur auf diese Weise pluraler, flexibler, schneller sowie emotionaler werden.

Soziale Netzwerke, wie Facebook und Twitter, deren Bedeutung für die öffentliche Kommunikation immer bedeutender werden, müssen mit dem Fernsehprogramm in Einklang gebracht werden.

Insgesamt wird wohl das Spektrum des Fernsehens immer breiter werden, dadurch mitunter aber auch immer konturloser. Das Fernsehen wird seinen Status als Leitmedium aber wohl aufgrund der Überschneidung verschiedenster Dienste und Geräte, wie etwa der Etablierung von Spielekonsolen zu multifunktionalen Unterhaltungssystemen, immer mehr einbüßen müssen und in Zukunft gänzlich verlieren. Stattdessen wird es Teil neuer und zukunftsweisender Hybridmedien.

Torsten

  Dieser Beitrag entstand in Kooperation mit:

Torsten hat ein Herz für Statistiken und hat auch beruflich gelernt dieses Talent für sich zu nutzen. Er hält stets die Quoten der Sender im Blick, vergleicht Streamingdienste und Nutzungszeiten von anderen Medien, was teilweise sehr spannende Ergebnisse mit sich bringt. Dennoch weiß er auch, wie man einfach abschaltet und einen guten Film im TV genießt – eine wirklich wichtiges Learning für all jene, die sonst sprichwörtlich hinter der Mattscheibe stehen.

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